Supergau

Und schon wieder…
Spannender und aufregender hätte der gestrige Dienst nicht sein können.

Mal wieder war es recht ruhig im Kreißsaal als wir am Nachmittag ankamen.
Ich schaute kurz die Akten durch und bemerkte, dass eine Frau bei 3. Schwangerschaft eine Beckenendlage (Kind liegt mit dem Steiß nach unten) hat und diese spontan entbinden soll.

Sie hatte bereits Pressdrang, war allerdings, als ich sie untersuchte 7-8cm. Das Kind setzte bereits reichlich Mekonium ab.
Ich blieb bei der Frau und beobachtete den Verlauf. Ihr Pressdrang wurde zwar in den Wehen immer stärker, jedoch ließ die Wehentätigkeit in Länge und Abständen zusehend nach.
Ich dachte an einen Oxytocintropf, da gute regelmäßige Wehen besonders bei einer Beckenendlage absolut notwendig sind. Also legte ich der Frau schon einmal eine Braunüle und gab ihr erstmal ein bisschen Flüssigkeit mit Dextrose, was in diesem Fall auch nicht schadete, da die Frau schon sehr energielos war.
Danach sprach ich mit meinen Kollegen und es stellte sich für mich etwas sehr Interessantes heraus.
Mir wurde gesagt, dass eine Beckenendlage eine absolute Kontraindikation für einen Oxytocintropf ist. Ich wunderte mich ein bisschen über mich selbst, warum ich das bis heute noch nicht mitbekommen hatte.
Für mich ziemlich paradox, weil ohne gute Wehen wertvolle Zeit bei der Geburt des Kindes verloren geht und auch generell herrscht hier kein kein sonderlich zurückhaltender Umgang mit Oxytocin. Vermutlich habe ich diesen Standard noch nicht bemerkt, da ich bislang keine Betreuung einer Frau mit Beckenendlage übernommen hatte.
Also versuchte ich es ein bisschen mit Seitenwechsel und Abwarten. Und das zahlte sich auch aus – obwohl ich mich auch gefreut hätte, wenn es etwas zügiger von Statten gegangen wäre, da die Frau nicht wirklich aktiver und motivierter wurde.
Aber einige Zeit später stand der Steiß Beckenboden. Ich war bereit, hielt meine Hände aber erstmal zurück, so wie es sich gehört.
Als dann der Nabelschnuransatz geboren war, umfasste ich den Körper mit beiden Händen, ganz wie ich es in der Schule nach Bracht gelernt hatte. Wurde aber prompt zurück gewiesen – ich solle doch erst die Arme lösen. Das hatte ich erwartet. Denn bislang hatte ich keine Beckenendlagengeburt nach Bracht gesehen.
Mein Versuch wurde gestoppt und ich musste erst die Arme lösen, welche zum Glück eigenständig und schnell geboren wurden. Jedoch den zeitlichen Aspekt betrachtet, war dieses sehr aufwendig. Als ich dann Veit Smellie zur Geburt des Kopfes durchführen wollte, waren schon viel zu viele Leute um uns herum und ein wildes Durcheinander brach aus. Und dieses übertrug sich auch auf die Frau und sie war kaum noch anzuleiten.
Solche Situationen machen mich häufig sehr wütend, weil es kaum möglich ist einen klaren Gedanken zu fassen und alle wild durcheinander blubbern.
Gemeinsam mit meiner Kollegin wurde dann der Kopf des Kindes geboren.
Anfangs war das Kind noch recht schlapp, aber nachdem wir es stimulierten und kurz absaugten, erholte sich das Mädchen schnell und schrie kräftig.
Ich war erleichtert, aber trotzdem unzufrieden. Ich hätte mir gewünscht, dass weniger dazwischen gebrabbelt worden wäre und ich mich voll und ganz auf diese Geburt konzentrieren hätte können und nach meinem Plan hätte vorgehen können.
Aber schlussendlich ging es Mutter und Kind gut und es gab keinen weiteren Handlungsbedarf.
Das war dann also meine erste Beckenendlagengeburt – mehr oder weniger.

Danach wurde es ruhig im Kreißsaal und wir nutzten die Chance um ein paar Erinnerungen fotografisch festzuhalten.

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Nachdem wir dann einige Zeit später von unserer kleinen Fotowanderung durch die Klinik zurück kamen wurde es noch einmal spannend im Kreißsaal.
Keine 2 Minuten waren vergangen, da ging es direkt mit einer Geburt weiter und prompt noch eine.
2 wunderschöne und komplikationslose Geburten mit gesunden Mamis und Kindern.
Als ich die Dokumentation abgeschlossen hatte und die Mütter verlegt hatte, wartete allerdings noch ein ernster Fall auf uns.
Es ging um eine 5. Gebärende, die seit einiger Zeit keinen Geburtsfortschritt mehr hatte und auch die Wehentätigkeit stark nachgelassen hatte.
Der Kopf stand Beckenmitte und der Arzt entschied sich für eine Vakuumextraktion (Saugglockengeburt).
Gemeinsam mit dem Arzt bereitete ich alles vor.
Eigentlich ist eine Saugglockengeburt nur indiziert wenn der Kopf Beckenboden sichtbar ist. Jedoch wird das einer Sectio hier öfters vorgezogen, – auch von Beckenmitte, was ich auch grundsätzlich unterstützte, da vor allem Sectios große Gefahren einer Wundheilungsstörung und Sepsis mit sich tragen…

…wenn nicht gerade der Supergau der Geburtshilfe passiert wäre…

Bereits bei der Kopfgeburt wurde mir klar … das läuft nicht!
Der Arzt löste bei halber Kopfgeburt die Glocke und ich sollte den Rest übernehmen. Grundsätzlich kein Probem, aber die Frau hatte keinerlei Wehen (trotz Oxytocintropf) und der Kopf bewegte sich kein Stückchen. Als die Frau dann etwas mit schob und auch meine Kollegin diesen Vorgang unterstützte…wurde es nicht wirklich besser.
Der Kopf war zwar geboren, doch es wurde eine Schulterdystokie wie sie im Lehrbuch steht. Langsame Kopfgeburt…forciertes Eingreifen…großer Kopf…Turtlephänomen.
Und es war vorhersehbar.
Durch das frühe Eingreifen mit der Saugglocke blieb die physiologischen Bewegungen und Drehungen des Kindes aus und die vordere Schulter verharkte sich hinter der Symphyse. Ein absolutes Notfall, da die Sauerstoffzufuhr des Kindes eingeschränkt ist und eine Hypoxie erleiden kann.
In diesem Fall ist ein korrektes und schnelles Handeln notwendig. Zum Glück schaltete es schnell in dem Kopf des zuständigen Arztes. Leider ist nur das Mc-Roberts Manöver nicht bekannt…
Nichtsdestotrotz versuchte ich es mit suprasymphysären Druck … änderte nur zunächst nichts.
Dann leitete der Arzt die Frau schnell in den Vierfüßlerstand. Woraufhin das Kind ein paar wenige Momente, für mich aber immer noch zu viele Momente, später geboren wurde.
Und dann die Bemerkung des Arztes: Kind ist tot.
Ich schaute ihn mit großen Augen an und widmete mich dem Kind. Nein ist es nicht.
Ich machte mich an die Abnabelung und schnappte mir das Kind.
Das übliche Management ging los, wobei eine Herzdruckmassage nicht nötig war, da das Kind einen guten normgerechten und kräftigen Puls hatte. Absaugen – Stimulation – Wärme – und ein paar Schübe mit dem Ambubeutel und wenig später schrie der kleine Held.
Die Freude war groß und es kehrte etwas Ruhe ein.
Das Kind bekam die übliche Sauerstoffvorlage und genoss dann noch ein bisschen unsere Beobachtung. Er machte sich prima. Wieder einmal ein Kind was mich beeindruckte.

Als dann alles abgeschlossen war hieß es Feierabend und auf dem Weg nach draußen durften wir noch einmal Mutter und Kind beim Kuscheln beglückwünschen.
…mal sehen was der heutige Dienst mit sich bringt.

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