Ms. Julia

Auch heute morgen erwartete mich wieder eine Traube von Schülern im Labor ward. Alle standen konzentriert um den Kreißsaalleiter herum und schauten ihm bei der Dokumentation zu.
Alle Schüler sind wirklich ziemlich motiviert etwas zu tun – manchmal sogar ZU motiviert bei Dingen, die sie noch nicht beherrschen. Trotzdem werden sie gelassen. Learning by doing. Das muss auch ohne Anleitung funktionieren.
Ich fühlte mich am Morgen noch etwas deplatziert, da wieder ziemlich viel Gewusel war und ich mir erstmal einen Überblick verschaffen musste.
Außerdem hatte eine Schwester Dienst für die ich nicht so viel Sympathie hege – sie weiß ganz genau zu Delegieren.  Das ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Zunächst sagte sie mir etwas auf Kiswahili wovon ich nur die Hälfte verstand – dann drehte sie sich um, machte eine Geste zu den Schülern, worauf diese anfingen zu lachen. Super.


Dann kam sie dichter zu mir und sagte mir ich sollte die Frau dort untersuchen und zeigte auf einen wehende Mutter. Bereits vorher hatte ich mit einem Arzt über diese Mama gesprochen – sie hatte zu Hause „Local Herbs“ genommen, zur Geburtseinleitung. Was genau diese „Local herbs“ beeinhaltet konnte mir allerdings keiner sagen.
Aber es scheint zu funktionieren.
Nach dieser weniger angenehmen Aufforderung, nahm ich aber meine sterilen Handschuhe und untersuchte die Frau. Die besagte Schwester stand mit verschränkten Armen daneben und beobachtete mich genau. Das ärgerte mich.
Die Frau war vollständig – Beckenmitte. Erstgebärende. Ich rechnete damit, dass es trotz des „guten“ Befundes noch etwas Zeit brauchen könnte.
Trotzdem wurde ich dazu angehalten, die Mutter zum Pressen anzuleiten. In meinem Inneren wollte ich das aber noch gar nicht und ich war froh, dass mir der Arzt zur Seite stand.  Er spricht sehr gutes Englisch und somit konnte ich mich gut mit ihm austauschen. Außerdem ist es gut jemanden zur Seite zu haben, der die Frau auf Kiswahili anleiten kann. Ebenfalls schauten noch 4 Schüler zu.
Das Köpfchen kam während der Wehen mal mehr und mal weniger gut voran. Aber das stresste mich nicht.
Trotzdem merkte ich wie die anderen drum herum nervöser wurden – das dauerte alles schon wieder viel zu lange.
Ich wusste was demnächst kommt. Der Arzt schlug mir eine Episiotomie – Dammschnitt – vor. Ich sah aber momentan noch keinen Grund dafür. Der Kopf schnitt noch nicht einmal richtig durch und rutschte in der Wehenpausen immer wieder zurück. Ich wollte ihr noch ein bisschen Zeit geben.
Wenige Wehen später, sah ich aber ein, dass eine Episiotomie eine recht annehmbare Idee war. Der Kopf kam nur wenig voran und das Dammgewebe und Schamlippen schon sehr weit ausgezogen.
Also entschied ich mich für eine Episiotomie, die hier mit einem kleinen Skalpell durchgeführt wird.
Als ich gerade ansetzen wollte, tauchte die Schwester wieder auf und sagte ich solle keine Epi machen. Ich legte das Skalpell wieder zur Seite. Sie zog die Vorhänge zu und stellte sich ans Kopfteil der Frau.
Grob und wehenunabhängig schob die kräftig auf dem Bauch der Frau umher und versuchte das Baby raus zuschieben. Ich versuchte den Kopf noch etwas mit der linken Hand zu bremsen, damit das Gewebe Zeit hatte sich zu dehnen, aber das brachte nicht viel. Durch ihren massiven Druck von oben flutschte das Köpfchen raus und ich sah bereits bei der Kopfgeburt den Damm reißen.
Nachdem sie ihren Teil der Geburt erledigt hatte verschwand die Schwester wieder. Ich ärgerte mich immer mehr über ihr Verhalten.
Nebenbei ist es hier außerdem untersagt zu Kristellern. Erklärt die zugezogenen Vorhänge.
Nachdem die Placenta geboren war, inspizierte ich den Geburtsweg. Dammriss 2. Grades mit einem hohen Scheidenriss, der ziemlich stark blutete.
Ich war unzufrieden, weil ich fand, dass es ein zu großes Entscheidungswirrwarr gab. Und hätte ich die Episiotomie gemacht, hätte man den hohen Scheidenriss vielleicht vermeiden können. Außerdem vermutete ich, dass das starke Mitdrücken der Schwester seinen Teil dazu beitrug.
Der Riss wurde vom Kreißsaalleiter versorgt. Währenddessen konnte ich mich mit dem Arzt noch einmal über die Geburt unterhalten und reflektieren. Wir waren beide der Meinung, dass man in so einem Fall wie diesen, lieber einen kontrollierbaren Schnitt macht einen unkontrollierbaren Scheiden- und Dammriss zulässt.
Ein ganz neues Gefühl, dass sich jemand ausgiebig mit mir über die Geburt unterhält und bespricht was man hätte besser machen können. Das war sehr beruhigend und ich war froh darüber. Er hat eine sehr angenehme Art und Weise Dinge zu besprechen.

Generell ist mir aufgefallen, dass er sehr reflektiert, entspannt und empathisch arbeitet. Eine wirklich angenehme Arbeitsweise, mit der ich mich gut identifizieren kann. Besonders positiv ist mir der Umgang mit den Frauen aufgefallen. Er fragt die Frauen nach ihren Namen und stellt sich selbst vor. Und erklärt der Frau vieles. In Deutschland üblich, jedoch ist es das hier nicht immer.

Die nächste Geburt ließ nicht lange auf sich warten.
Eine weitere Erstgebärende begann zu pressen. Bei ihr ging es aber deutlich schneller und das Kind war zügig geboren. Keine Geburtsverletzungen. Vitales Kind. Eine schöne schnelle Geburt.

Danach hatten der Arzt und ich noch etwas Zeit uns zu unterhalten. Unter Anderem wollte er mich davon überzeugen, dass ich mal ein paar Nachtdienste machen soll. Bislang war ich aber immer ganz froh, dass ich das nicht machen „musste“. Ich bin immer so furchtbar müde und wüsste gar nicht wie ich eine ganze Nacht aushalten sollte – geschweige denn tagsüber bei dem Geräuschpegel der Straße schlafen zu können . Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Trotzdem wollte ich wissen, warum er mich so sehr davon überzeugen wollte. Er sagte, dass im Nachtdienst immer viele spannende Fälle zu sehen sind. Wie Folgender:
Eine Mutter plante eine Hausgeburt. Allerdings war nicht bekannt, dass es sich im eine Zwillingsschwangerschaft handelt und, dass sich das erste Kind in Beckenlage befindet.
Trotzdem wurde die Geburt anfangs zu Hause durchgeführt.
In Deutschland ist eine Spontangeburt bei Zwillingen nicht empfohlen, wenn das erste Kind in Beckenendlage liegt. Vor allem dann nicht, wenn es sich um eineiige Zwillinge handelt.
Und hier kam es dann tatsächlich zum worst case.
Als das erste Kind geboren war, bis zum Kopf, blieb der Kopf stecken bzw. verhackte sich am Kinn mit dem des 2. Zwillings. Eine Spontangeburt ist somit nicht mehr möglich. Deshalb ist es auch besonders eine absolute Kontraindikation bei monoamnialen-monichorialen Zwillingen (nur eine Fruchtblase) spontan zu entbinden, da die Verkeilungsgefahr zu groß ist – auch wenn beide Kinder in Schädellage liegen.
Die Mutter wurde ins Krankenhaus verlegt und kam dort an mit einem leblosen Babykörper zwischen ihren Beinen an. Vermutlich hatten sie mehrmals zu Hause und auf dem Weg zum Amana versucht das Kind zu entwickelte. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind nicht mehr am Leben.
Während der Erzählung wurden meine Augen wahrscheinlich schon immer größer, doch das schlimmste kam erst noch.

Ich fragte ihn, wie sie dann handelten bzw wie sie das Problem jetzt lösen wollten. Er wartete kurz und sagte dann, dass er den Kopf des ersten Zwillings extrahieren musste. Dann haben sie es auf irgendeinem Weg geschafft, den Kopf und den 2. Zwilling zu entwickeln. Wie genau sie das geschafft haben, habe ich nicht weiter nachgefragt. Ich war erstmal ausreichend informiert.
Eine nicht gerade verlockende Geschichte um mich für den Nachtdienst zu überzeugen. Auch wenn ich sonst eine etwas absurde Wunschliste für Vorfälle in der Geburtshilfe habe, gehören Kopfextraktionen nicht wirklich dazu.  Aber mal schauen, was hier alles noch so passiert. Alles ist möglich.

Später hatte ich noch eine schnelle Drittgebärende, die ohne Probleme entbunden hat.
Dabei standen mir 3 Schüler zur Seite. Alle schauten mir konzentriert zu und reichten mir aufmerksam alle Utensilien, die ich brauchte. Sie nannten mich Mrs. Julia. Fand ich alles ziemlich komisch. Ich fühlte mich ja manchmal selber noch wie eine Schülerin – und jetzt standen 3 Schüler neben mir und wollten was lernen.
Aber trotzdem habe ich mich gefreut, dass sie interessiert geholfen haben und mir gespannt zuhörten, wenn ich was erklärt habe. Und wir hatten die Zeit – ich konnte alles entspannt zeigen und durchführen.
Danach füllten wir noch gemeinsam das Partogramm aus und dann wurde ich auch schon von Maria zum Feierabend abgeholt.

Ein insgesamt mal wieder etwas gemischter Tag – ein Auf und Ab. Ich bin etwas überfordert, wenn so viele Leute im Kreißsaal umher schwirren und ich es nicht schaffe mir einen Überblick zu verschaffen – oft schaffe ich das den ganzen Tag nicht.
Aber wenn man dann doch einfach mal macht, klappt es auch. Aber man muss viel Rückgrad beweisen. Immer und immer wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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