Theater im theatre

Über eine Woche ist seit meinem letzten Eintrag vergangen. Mich hat es letzte Woche ziemlich erwischt. Vorletzten Sonntag haben wir uns einen schönen Strandtag gegönnt – leider mit üblen Nachwirkungen. Bereits als wir nach Hause kamen, bemerkte ich meinen fetten Sonnenbrand – ziemlich dämlich.

Zunächst nur halb so schlimm, doch als ich im Bett lag ging der Spaß los. Schüttelfrost – Kopfschmerz – Übelkeit – das volle Programm. Ich konnte nur noch jammern und Maria vom schlafen abhalten. Hinzu kam noch eine beginnende Erkältung. Ich blieb als am Montag zu Hause. Ich war weiter schlapp – sah aus wie ein Krebs – begann zu fiebern – startete ein Brechkonzert und fühlte mich dementsprechend. Als mein Fieber weiter stieg, entschied ich mich doch zur Sicherheit für einen Malariatest und ein großes Blutbild. Ich machte mich gemeinsam mit Felix auf den Weg zum Amana, während Maria dort schon auf uns wartete. Der Malariaschnelltest ging zügig von statten und war negativ. Allerdings konnten wir dem Ganzen nicht so recht trauen und forderten noch ein großes Blutbild mit „großem“ Malariatest ein. Währenddessen kümmerten sich Maria und Felix lieb um mich und klärten alles wichtige in meinem Namen. Ich war sehr froh darüber, schließlich hing ich nur wie ein Schluck Wasser in der Weltgeschichte umher. Ich glaube, ich hatte das letzte Mal Fieber als 13 oder 14 war.
…und natürlich kam es wie es kommen musste. Die Blutbild-maschine im Labor fiel aus und wir konnten ohne Ergebnis das Krankenhaus verlassen. Nichtsdestotrotz wurde uns eine Telefonnummer gegeben, bei der wir später die Ergebnisse erfragen konnten, sobald das Gerät wieder funktioniert.
Kurz bevor wir dann gehen konnten, wollte mich der behandelnde Arzt noch einmal sprechen. Er empfahl mir einige Medikamente gegen meine Beschwerden und hinzu sollte ich zur Sicherheit mit den Malariamedikamenten starten. Auch wenn das Ergebnis noch aus stand.
Am nächsten Tag holte Maria die Ergebnisse ab – alles negativ und das Blutbild unauffällig. Ich war beruhigt. Das Fieber ging zurück, nur die Erkältung blieb noch. Anscheinend war es tatsächlich nur einen äußerst ungünstige Mischung aus Erkältung und üblem Sonnenstich. Ich blieb die Woche zu Hause und genoss die Ruhe.

Gestern startete ich dann in neue Woche.
Gestern war kein sonderlich aufregender Tag. Es sind derzeit gerade andere Freiwillige einer australischen Organisation im Maternity Ward. Ältere ausgebildete Hebammen. Aufgrund ihres Alters fiel ihnen der Start sehr viel leichter als mir, da die Kollegen sie als gleichberechtigte Hebamme ansehen, obwohl sie kein Wort Kiswahili sprechen. Und auch ihre erste Frage an mich war, ob ich Studentin sei. NEIN!!!
Zweite Frage: Wie viele Geburten hast du schon gemacht?
Super Start.

Ich fragte sie einige Sachen zu ihrem Projekt. Sie werden hier lediglich eine Woche bleiben. Erwecken aber eher den Eindruck als hätten sie total den Durchblick und könnten reichlich verändern.
Ich war weniger begeistert über dieses Auftreten.
Keine Frage, sie leisten tatkräftige Arbeit und unterstützen wo sie nur können. Fachlich erkennen sie natürlich Lücken und Probleme. Aber wie viel Aussicht auf Verbesserung gibt ihnen eine Woche Arbeit im Amana?
Ebenfalls ist mir aufgefallen, dass die tansanischen Kollegen sehr viel genauer und präziser Arbeiten, wenn sie von der australischen Kollegin beobachten werden, als vorher.
Außerdem frage ich mich, ob es hier vor Ort tatsächlich hilfreich ist, wenn alle paar Woche mal jemand für 1 oder 2 Wochen vorbeikommt und irgendetwas verändern möchte. Ständig sind hier unterschiedliche Organisationen am Werk – uns eingeschlossen. Allerdings können wir ein Jahr bleiben und uns ausreichend Gedanken machen.
Aber wahrscheinlich steckt hinter dem Prinzip noch viel mehr Konzept und Sinn, den ich nur bislang nicht erkenne.

Des Weiteren macht eine andere australische Hebamme einen 1 wöchigen Workshop mit 2 tansanischen Kolleginnen. Hierbei liegt das Augenmerk auf Schwangerenbetreuung, Geburt, Wochenbett und Säuglingspflege. Grundsätzlich finde ich das eine Super Idee. Auf sowas hätte auch ich große Lust.
Als ich das heute im Kreißsaal beobachtete, fand ich zunächst auch alles super. Die Kinder wurden ganz genau angeschaut, sozusagen eine U1 gemacht. Es wurde angelegt und sogar über Familienplanung gesprochen. Sowas kommt um Alltag viel zu kurz bzw gar nicht zur Sprache.
Als es dann aber später zur Geburt ging, wurde mir aber klar, dass die australische Hebamme gerade versucht ihr Prinzip von Geburtshilfe stumpf in das tansanische System einzubauen. Und das ist hier schlichtweg einfach nicht möglich.

Die Frau war eine 2. Gebärende. Das erste Kind wurde spontan geboren. Sonstige anamnestische Fakten waren unauffällig.
Allerdings war die Frau bereits sehr erschöpft. Wie viele Frauen, die nach der Eröffnungsphase zu uns in der Kreißsaal kommen. Viele Frauen haben bis dahin weder viel getrunken, noch gegessen.
Und das war auch hier der Fall.
Der vaginale Befund: Vollständig, Beckenmitte.
Die australische Hebamme, fragte die tansanischen Kollegen einige Dinge ab, was ich vollkommen in Ordnung fand. Es war eine ruhige und gelassene Stimmung. Alles konnte in Ruhe durchgeführt werden, da auch gerade keine andere Frau im Kreißsaal war. Die Frau verspürte immer mehr Pressdrang.
Allerdings nahm die Wehentätigkeit mit der Zeit ab. Die Wehen wurden kürzer und die Wehenpausen länger. Mich kribbelte es in den Fingern. Ich dachte an Blase leeren, eventuell Oxytocintropf oder einfach mal zum richtigen Pressen anleiten, da es klar war, dass die Frau nicht mehr viel Kapazitäten hat. Der Kopf war in der Woche schon sichtbar in der Scheide, nur die Frau schob nicht richtig mit. Ebenfalls wäre eine Glucoselösung i.v. für die Mama super gewesen.
Doch das einzige was die australische Hebamme im Sinn hatte war: Positionswechsel, damit der Kopf schneller tiefer kommt. Grundsätzlich eine prima Idee. Nur die Frau konnte sich selbst kaum halten – hatte keine Energie mehr. Abgesehen davon, dass ich hier noch nie jemanden gesehen habe, der einen Positionswechsel unter der Geburt durchgeführt hat. Was nicht bedeutet, dass es nicht gut ist – es ist hier nur einfach nicht üblich und oft auch nicht möglich. Und die Energie der Frau, die noch da war, wäre ja super fürs Pressen gewesen.
Ich traute mich dann doch auch mal meine Idee des Katheterisierens einzuwerfen – bekam aber nur eine abwendende Handbewegung.
Ich wurde ungeduldig und wusste nicht warum jetzt alle nur so rumstanden und glotzten. Irgendwas musste jetzt passieren, sonst kann die Frau gleich gar nichts mehr. Doch sie warteten weiter, ließen die Frau halbherzig mitpressen. Ich traute mich allerdings nicht, mich stark zu machen. Dann kam zum Glück eine tansanische Kollegin. Auch wenn ich mit deren Arbeitsweisen nicht immer einverstanden bin, war ich froh, dass sie jetzt kam. Sie legte der Frau einen Zugang für eine Glucoseinfusion und leitete die Mama zum Pressen an. Endlich passierte was. Die australische Hebamme stand mit schüttelndem Kopf daneben. Ich hingegen fand es gut. Die 2. Gebärende musste nur mal ordentlich schieben und es funktionierte. Leider hat die tansanische Hebamme etwas KristellerHilfe in den letzten Wehen geleistet. Ein leidiges Thema – grundsätzlich aber nicht erlaubt hier im Kreißsaal. Darüber war die australische Hebamme sehr schockiert. In Anbetracht dessen, dass die Frau aber keinerlei Kraft und Reserven mehr hatte und nicht jeder im Kreißsaal einfach eine Vakuum-Extraktion ausführen kann, empfand ich diese Möglichkeit als legitim.
Mein Bild über diese Art der „Entwicklungshilfe“ verbesserte sich nicht. In meinen Augen interessiert es die besagten Hebamme fast gar nicht gemeinsam mit dem Personal vor Ort zu arbeiten, sondern nur ihr Gelerntes umzusetzen. Das ist hier aber gar nicht 1:1 möglich. Schwieriges Thema…

Nach dieser Geschichte war ich froh als Maria mich dann zur Pause besuchte. Allerdings wurde ich gebeten in  den HauptOP zu gehen zur Sectio. Ich wusste nur nicht genau, ob ich nur das Kind abholen sollte oder das Kind im OP annehmen sollte. Das sollte eine Überraschung werden.
Maria und Ich verbrachten dann ungeplant 2h im OP. Da die vorherige Sectio atonisch nachblutete, musste diese nach ewigem Hin und Her noch einmal operiert werden, bis dann Zeit für die nächste Sectio war. Maria und ich hatten reichlich Zeit alles zu beobachten.
Während die vorherige Frau der Sectio also mächtig blutete, wurde mal wieder nur viel rumgestanden – besprochen – telefoniert und die Zeit strich dahin. In solchen Momenten, weiß ich dann nie was ich tun soll – in mir kribbelt es und am liebsten möchte ich einfach laut schreien und sagen was jetzt zu tun ist. Alles dauert einfach sooo furchtbar lange und ist so unstrukturiert.
Nach einigen qualvollen vaginalen Untersuchungen, entschieden sich die Ärzte dann tatsächlich die Naht noch einmal unter Vollnarkose zu öffnen und im Uterus wurde dann auch das Problem sichtbar. Ein Rest der Plazenta blieb zurück, wodurch die Gebärmutter sich nicht richtig kontrahieren konnte und es weiter aus der Plazentahaftstelle blutete.

Noch während diese OP zu Ende gebracht wurde, startete nun auch die andere geplante Sectio im OP-saal 1.
Maria und ich bereiteten uns vor. Bereits seit Stunden wurden keine Herztöne gehört, in der Akte war grünes Fruchtwasser dokumentiert und die Frau wehte ordentlich vor sich her. Sie war Erstgebärende und die Indikation zur Sectio: Poor progress of labor.

Maria und ich freuten uns als ein schreiendes vitales Mädchen geboren wurde. Wir versorgten das Baby und gingen dann gemeinsam zurück in den Laborward.
Da sich unser Aufenthalt im OP doch ungewollt verlängerte, war es nun schon Feierabendzeit. Wir dokumentierten alles und machten uns dann auf den Weg in die Umkleide. Doch ich wurde vorher von einer wehenden Mutter im Kreißsaal abgefangen. Ich versuchte ihr gut zu reden – sie sprach gut Englisch. Es war gerade keine Hebamme im Kreißsaal. Doch als sie anfing zu pressen wusste ich, dass ich mit Worten nicht mehr viel machen konnte. Als ich sie gerade vaginal untersuchen wollte, blitzten schon die krausen Locken des Babys durch.
Ich leitete sie zum Pressen in der Wehe an – sie machte es super und wir arbeiteten gut zusammen. Und ratzfatz war ihr Sohn geboren. Leider sehr schlapp und ziemlich deprimiert. Ich beeilte mich mit dem Abnabeln und ging zügig mit dem Kind zur Kindereinheit. Doch schon auf dem Weg dorthin erholte er sich schnell vom Geburtsstress und schrie. Ich war zufrieden mit diesem kleinen Menschlein.
Dann kümmerte ich mich weiter um die Mutter. Immer noch keine Hebamme in Sichtweite. Gerade als die Plazenta geboren wurde, verließ mich allerdings die Klemme an der Nabelschnur und ich gönnte mir zum Ende der Schicht noch eine schöne Blutdusche.
Einen kurzen Moment später stieß dann eine Hebamme dazu und auch Maria kam gerade umgezogen in den Laborward. Meine Stirn, meine Arme und mein Kasack waren gesprenkelt mit Bluttropfen. Berufsrisiko. Die Mutter ist HIV negativ.

Leider ist bei der Geburt etwas mehr gerissen. Ein Dammriss 2. grades und ein Scheidenriss. Ich traute mir diese Verantwortung nicht zu und fragte eine meiner Kolleginnen um Hilfe. Ich dokumentierte die Geburt, während sie die Naht versorgte. Ich zeigte der Mutter noch ein mal ihr Baby und sie bedankte sich tausendmal für meine Hilfe – mein Herz ging auf. Der häufige Unmut auf der Arbeit verpufft in solchen Momenten und wenn ich auch nur mit wenigen Müttern solche Momente haben sollte, bin ich glücklich damit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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