Sikukuu njema – frohe Weihnachten

Freitag war der letzte Arbeitstag für dieses Jahr.
Doch der Tag begann nicht so fröhlich, wie ich es mir gewünscht habe. Ich war keine 5 Minuten auf der Arbeit, und es passierte das, was irgendwann zu erwarten war.
Eine Frau starb in meinem Beisein.
Mir wurde gesagt, dass im Block 6 ein interessanter Fall sei und ich doch ruhig rüber gehen sollte.


Als ich im Block 6 ankam, stand eine Traube von Ärzten und Schwestern um eine Liege im hintersten Teil des Raumes. Im Mittelpunkt der leblose Körper einer Frau – ca. im Alter von ca. 28-32 Jahren.
Einige Schwestern versuchten an mehreren Stellen ihres Körper venöse Zugänge zu legen, aber scheiterten immer wieder. Bislang wusste ich nicht was passiert war und wartete auf den richtigen Moment um nachzufragen. Bis dahin beobachtete ich das „Notfallmanagement“.
Ab und zu drückten einige Schwestern achtlos auf dem Brustkorb der Frau umher. Keine Vitalzeichenkontrollen. Zwischen durch stand man rum – unterhielt sich – lachte.
Immer wieder gingen Ärzte oder Schwestern weg – kamen wieder – holten entspannt nötiges Material.
Irgendwann kam eine Änästhesieschwester aus dem OP um die Patientin zu intubieren. Ich wusste nicht wie lange dieses Management schon statt fand.
Das Intubieren funktionierte nach einigen Malen leider nicht…immer mehr Personal entfernte sich aus dem Geschehen. Die Motivation hielt sich in Grenzen.
Der Frau wurde die Sauerstoffmaske wieder aufgesetzt – einmal die Herzaktivität mittels Stethoskop abgehört. Die Ärztin kommentierte das Ergebnis mit: sie stirbt.
Die Frau wurde dann zurück gelassen.
Zwischendurch habe ich eine der Schwestern gefragt was passiert sei.
Sie ist eine junge 2. Gebärende, die mit Wehen letzte Nacht ins Krankenhaus kam.
Im Krankenhaus konnte man bereits bei Aufnahme keine Herztöne ermitteln.
Die Frau gebar wenige Zeit später ein bereits stark mazeriertes Kind. Das bedeutet, dass das Kind bereits seit einiger Zeit tot gewesen ist.
Später begann die Frau zu bluten und „zerfiel“ körperlich sehr schnell.
Die Schwestern und Ärzte vermuten eine DIG – disseminierte intravasale Gerinnung –
Die Frau verblutet.
Es war für mich ein ziemlich seltsames Erlebnis. Vor allem der Umgang mit der Situation war teilweise unerträglich für mich.
Als ich gerade gehen wurde, wirbelte eine der Putzfrauen um die Liege der Frau umher, wo sie immer noch lag. Schaute mich an, machte eine Bewegung zur Frau und sagte grinsend: mh – tot. Und zuckte mit den Schultern.
Ich entfloh der Situation und ging erstmal zu Maria auf die Station um ihr alles zu erzählen.

Später bin ich wieder zurück in den Kreißsaal gegangen und kurze Zeit später war ich für eine Gebärende zuständig. Eine Schülerin sagte mir aufgeregt, dass ich mir Handschuhe anziehen soll und führte mich zur Liege der Frau, wo auch schon eine Ärztin neben ihr wartete. Diese Ärztin war noch nicht lange im Kreißsaal.
Die Frau war eine 2.-Gebärende, um den Geburtstermin.
Allerdings hatte ich noch nicht den Eindruck, dass das Kind kurz vor dem „Ausgang“ stand, da die Frau noch ganz entspannt in Seitenlage lag.
Die Ärztin fragte sie einige Fragen, ob sie pressen müsste…etc.
Die Wehenabstände waren auffällig groß, also startete die Ärztin den Oxytocintropf.
Die verwendete 5iU Oxytocin in 500ml 5%tiger Glucoselösung und ließ diese erstmal unachtsam im Schuss laufen. Nach einigen Sekunden drehte ich die Infusion dann allerdings etwas runter.
Die Frau drehte sich in Rückenlage und drückte in der Wehe nach Gefühl mit – nichtsdestotrotz motivierte die Ärztin sie zum Powerpressen. Ich fühlte allerdings währenddessen die Kontraktionen des Uterus‘ und machte darauf aufmerksam, wenn gerade keine Kontraktion vorhanden war.
In der Wehe kam das Köpfchen prima tiefer und wurde in der Scheide sichtbar.
Zwischendurch kam eine Schwester ans Bett und wollte ebenfalls, dass die Frau kräftig presste. Ich hatte immer noch die eine Hand auf dem Bauch der Mutter – es ist gerade keine Kontraktion! Das machte ich noch einmal lauter deutlich. Ich massierte etwas den Bauch, um den Uterus zur Kontraktion anzuregen.
Das Köpfchen kam weiter sichtbar tiefer,  bis es durchschnitt.
Immer wieder verirrten sich die Hände der Ärztin mit an den Damm und dehnten in übers Köpfchen. Ich nahm ihre Hand zur Seite und sagte, dass das nicht hilfreich ist. Ich setzte mich durch.
Ich leitete die Frau an – machte den Dammschutz. Dem Baby ging es prima.
Ich war total entspannt. Jedoch huschten die Ärztin und die eine Schülerin immer wieder umher. Nahmen mir meine Arbeit weg. Allerdings ließ ich das dieses Mal nicht zu. Ich ließ es mir nicht nehmen das Kind abzunabeln – 10iU Oxytocin zu verabreichen…etc.
Schließlich war es meine Geburt, wozu sie mich anfangs auch selber gebeten hatten.
Die Plazenta brauchte eine Weile. Trotzdem zog die Ärztin schon fleißig daran umher. Ich sagte ihr, dass wir besser noch ein bisschen warten. Lösungszeichen werden hier eigentlich nie kontrolliert.
Als ich sie checkte, waren sie noch negativ.
Wenige Zeit später sah ich, dass die Nabelschnur aus der Scheide rutschte. Ich fragte die Ärztin, ob sie es noch einmal probieren möchte. Sie fasste die Nabelschnur an, meinte dann aber ich sollte es lieber machen.
Die Plazenta folgte vollständig mit ihren Einhäuten.

Als ich dann die Geburt beendet hatte und die eine Schülerin sich noch im das Kind kümmerte, wollte ich mit der Dokumentation beginnen. Als ich nach dem Gewicht fragen wollte, machte mich die Schülerin darauf aufmerksam, dass etwas mit den Augen des Kindes nicht stimmte.
Ich schaute mir sofort das Baby an. Etwas stimmte tatsächlich nicht.
Mir fiel ein eindrückliches Sonnenuntergangsphänomen auf.

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Dieses Phänomen kann zustande kommen, wenn es einen erhöhten Hirndruck gibt und müsste natürlich genauer beobachtet werden um eine Diagnose zu gewährleisten.
Sonst machte das Kind einen guten Eindruck. Bislang keine weiteren Auffälligkeiten.
Natürlich sagte ich gleich der Ärztin Bescheid und zeigte ihr was mir auffiel.
Sie wusste damit erstmal nichts anzufangen. Vermutete, dass das Kind ein Glaukom entwickelt hat – grüner Star.
Aber wir sollten uns erstmal die Augen der Mutter anschauen, vielleicht hat sie ja auch solche Augen.
Ich musste kurz auflachen, bis ich merkte, dass sie das Ernst meinte.
Ich machte den Vorschlag, das Kind auf die Neonatologie zu verlegen, um eine schnellere Diagnostik zu ermöglichen. Dieses wehrte die Ärztin aber ab. Auf der normalen Wochenbettstation würde es von den Ärzten auch beobachtet werden.
Ich nahm es so hin. Verlegte die Frau später gemeinsam mir Maria, die gerade mit bei mir, auf die Station. Sagte aber einer Schwester noch mal genau was mir aufgefallen wäre. Allerdings hielt sich auch ihr Interesse in Grenzen.

Später erzählte Maria mir auch noch eine ziemlich durchgeknallte Situation von ihrer Station.
Bei der Ward-Round am Morgen, die Maria meistens dokumentiert, vernahm sie irgendwann einen dumpfen Knall in dem Raum hinter ihr.
Als sie sich umdrehte, sah sie wie sich der eine Arzt gerade bückte und ein Kind vom Boden aufhob.
Das Kind ist dem Arzt von der Waage direkt auf den Boden gefallen. Ein Frühgeborenes.
Ich war so erschrocken, als sie mir das erzählte.
Ein absolut absurder letzter Arbeitstag für dieses Jahr.

Viel schlimmer sind dann allerdings der Umgang mit dieses Situationen. Als Maria den Arzt darauf ansprach, grinste er und meinte: „Ja, aber dem Kind geht es gut.“ Super!!!
Hirnblutungen fallen ja bekanntlich auch sofort auf.

Wir waren froh als wir endlich dem Feierabend entgegenfieberten. Manchmal häuft sich wirklich alles.
Aber der Tag war noch nicht zu Ende und eine interessante Begegnung im Postamt wartete noch auf Maria und mich.
Maria hat von ihrem Papa ein prall gefülltes Care-Paket aus Deutschland bekommen mit reichlich Leckereien.
Als wir gerade gehen wollten, meinte der Postbeamte, dass Maria jetzt noch was bezahlen müsste. Wir guckten ziemlich dumm aus der Wäsche – wir hatten noch nie was bezahlt für unsere Päckchen. Egal was sich darin befand.
Daraufhin meinte der Postbeamte dann nur: „Heute müsst ihr aber bezahlen.“
Nach unserem Arbeitstag waren wir schon etwas angefressen und waren deshalb auch ziemlich schnell mies gestimmt.
In der Kurzfassung: Es wurde der Postamtchef gerufen…eine rege Diskussion folgte…3 Securitymänner standen irgendwann vor der Tür, weil sie Angst hatten, dass wir das Postamt mit dem Paket verlassen ohne zu bezahlen…er folgten immer mehr unlogische Kommentare der Postbeamten. Wir kochten vor Wut.
Irgendwann sahen wir aber ein, dass es nichts bringt und Maria bezahlte den Betrag. Ein absolut unverschämtes Auftreten.

Ich war froh als dieser Tag ein Ende nahm.
Wir hatten ein schönes Wochenende und seit heute ist nun offiziell frei für mich und Maria.
Morgen sind wir noch auf einer Graduation eines Arztes eingeladen und Mittwoch ist ja dann schon plötzlich Weihnachten. Nur noch 2 Adventstürchen ! Ziemlich verrückt. Weihnachten verschwitzt bei ca. 34°C.

Ich wünsche allen ein wunderbares und frohes Weihnachtsfest. Esst alle ganz viel Leckeres für mich mit und genießt die wunderschönen Momente mit euren Familien. Mir fehlt alles unglaublich doll.
Meine Liebsten zu Hause – ich freue mich auf die Bescherung via Skype.

…Und natürlich einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Wir werden den Jahreswechsel alle zusammen auf Sansibar verbringen – es gibt deutlich schlimmeres 😉
Danke an alle fleißigen Leser.
Bis nächstes Jahr.

Ein Gedanke zu “Sikukuu njema – frohe Weihnachten

  1. Hallo liebe Julia !
    Ich bin Corina, eine Hebammestudentin aus der Schweiz. Ich habe dein Blog heute entdeckt. Ich konnte nicht aufhören mit lesen! So spannend fand ich was du da berichtest 😉 faszinierend !und das du alles so genau und in Details schilderst finde ich sehr beeindruckend und lässt einen sich sehr gut die Situationen vorstellen. Es ist wirklich ein “ Schatz“ dieses Blog! Wirklich ! Kompliment!
    Ich hab dich entdeckt, da ich mich für ein Auslandspraktikum interessiere und hab eine eine Bekannte die Ihr Praktikum irgendwo in Kingdom, Tansania macht… Ich würde dich gerne kontaktieren, ich würde mich gerne mit dir austauschen. Könntest du mir, bitte, deine E-Mail Adresse geben?

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