Paradoxe Welt

Die Arbeit erweist sich zur Zeit als etwas schwierig.
Leider bin ich in einer Phase angekommen, in der ich vieles nicht immer belächeln und tolerieren kann.

Die Situation auf Marias Station mit der Oberschwester machte uns immer noch zu schaffen und ist nicht so leicht zu vergessen. Scheinbar haben wir damit doch einen wunden Punkt getroffen und darüber macht man sich natürlich Gedanken.

Nach dem „Schreck“ vom Morning Report und dem bestätigtem Bewusstsein, dass der „Fehler im System“ tatsächlich schon in der Ausbildung beginnt, war es für mich die restliche Woche immer schwieriger durch einige Situationen zu kommen.
Am Donnerstagmorgen wurde ich in den Sectio-OP direkt neben dem Kreißsaal geschickt um ein Kind anzunehmen.
Allerdings wurde ich dazu angehalten, direkt hineinzugehen und nicht wie sonst üblich, das Kind durch die Kreißsaaltür von einer Op-Schwester anzunehmen. Ich bemerkte nur kurz, dass gar keine Zeit mehr ist, um mich umzuziehen bzw ich gar keine Sachen für den OP habe. Ich sollte mir darüber keine Sorgen machen und einfach so rüber gehen. Aha.

Einmal um den Kreißsaal rumgelaufen und im OP angekommen, war es dann aber doch ganz wichtig, dass ich meine Schuhe wechsle und einen Mundschutz + Haube aufsetze, Klamotten wechseln allerdings nicht. Ich nahm alles still hin.
Ich ging in den OP-saal und kurze Zeit später kam es mal wieder zu einer Situation, die nur schwer für mich zu ertragen war. Die operierende Ärztin bekam das Kind nicht entwickelt. Auch in Deutschland eine durchaus auftretende Situation, somit also noch nicht sehr außergewöhnlich. Wenn der Geburtsprozess schon weiter vorangeschritten ist und das Köpfchen schon tiefer ins Becken eingetreten ist, erweist es sich ab und zu als schwierig, den Kopf aus dem Becken zu lösen.
Wie auch in Deutschland, muss dann jemand vaginal den kindlichen Kopf „nach oben“ schieben.
Leider geschah das hier nicht so zügig, wie ich es gewohnt bin und mir gewünscht hätte. Das Kind steht in dieser Zeit natürlich unter größerem Stress, was sich auf seine Vitalität auswirken kann.
Während sich die Op-Schwester also gemächlich sterile Handschuhe anzog um zu helfen, wurde ich immer hippeliger. Sie versuchte, das Kind hochzuschieben, hatte aber anscheinend nur wenig Erfolg. Zog sich danach wieder die Handschuhe aus.
Die Ärzte wechselten, der Oberarzt übernahm, und die Schwester verschwand aus dem OP. Alles dauerte mir, wie immer, viel zu lange.
Wieder wurde die Schwester gerufen, um noch einmal das Kind hochzuschieben. Aber kein Grund zur Eile, die Handschuhe wurden in einer für mich unangenehmen Ruhe angezogen und sich dabei rege unterhalten.
Und es dauerte tatsächlich eine Zeit, bis der Arzt, das Kind entwickelt hatte. Kurz vorher wurde ich noch von der Assistenzärztin gefragt, ob ich auf eine Reanimation vorbereitet bin.
Bereits als die Situation eingeschätzt hatte, ging ich im Kopf die Schritte der Kinderreanimation durch. Ich war also bereit. So bereit wie man eben sein konnte.
Das Kind wurde wie erwartet „schlecht“ geboren. Nichts.
Ich schnappte mir das Kind und machte mich zügig auf den Weg in den Kreißsaal.
Ich trocknete das Kind ab, Herzschlag unter 60spm, keine Reflexe, Blaue Hautfarbe. Ich holte mir schnell alle Utensilien, die ich brauchte. „Alle“ ist dabei allerdings etwas übertrieben. Zunächst sind meine ersten beiden Helfer: Manueller Absaug-Pinguin und ein Ambubeutel.
Doch es verging nicht lange Zeit, da wurde mir meine Arbeit wieder „abgenommen“. Eine Hebamme kam zu mir und übernahm. Obwohl es keinen Grund dafür gab. Natürlich bin ich in solchen Situationen noch nicht sehr erprobt, trotzdem habe ich meinen Ablauf im Kopf und weiß was ich zu tun habe.
Aber gut – auch hier ergab ich mich der Situation. Die Hebamme begann mehr oder weniger an zu reanimieren. Ein paar Bebeutelungen, sie checkte nicht ein mal den Herzschlag, und drückte ein bisschen auf dem Brustkorb umher.
Das klingt ziemlich hart bewertet, aber leider lief es genau so ab. Keine strukturierte Reanimation – ein bisschen davon und ein bisschen hier von.
Eine weitere Schwester mischte sich dazu.
Ich konnte mir die Situation nicht weiter anschauen und realisierte, dass dem Kind mal wieder wertvolle Zeit verloren ging in der es einfach unerlässlich ist, schnell und korrekt zu handeln.
Allerdings wusste ich auch, dass ich hier gegen nicht ankomme. Es wäre ein absolutes No-Go gewesen, wenn ich in dieser Situation eingeschritten wäre und Sachen anders gemacht hätte. Rein hierarchisch habe ich kein Recht dazu, ältere Kollegen zu korrigieren. Ein ziemlich schwieriges Thema und noch schwieriger ist es den richtigen Weg dabei zu finden.
Ich musste kurz raus und ging zu Maria auf die Station. Da war ich allerdings nur kurz, weil ich dachte, dass ich nicht immer vor diesen Situationen weglaufen kann.
Nach ca. 10Minuten ging ich wieder runter in den Kreißsaal, wo meine Kolleginnen immer noch „reanimierten“. Beide waren jetzt damit beschäftigt, dem Kind Zugänge zu legen. Mehrere Versuche scheiterten. Ich wunderte mich über diese Logik. Keiner reanimierte zu diesem Zeitpunkt bzw tat irgendwas, damit das Kind einen besseren Zustand erreichte. Stattdessen konfrontieren sie das Kind mit noch mehr Stress.
Die eine Schwester staute eines der Ärmchen und suchte nach einer geeigneten Vene.
Zwischendrin kam allerdings eine weitere Schwester und beide fingen an sich zu unterhalten. Über was auch immer. Sie ließ den Arm los und ließ ihn liegen. Die Unterhaltung war im vollen Gang. Ich löste dann die Stauung des Armes.
Sie wollten dem Kind 10ml 10%-haltige Glucose als Bolus geben. Verstand ich nicht. Die Reanimation nicht mal richtig durchgeführt und dann dem Kind einfach was Spritzen wollen. Da die Zugänge nicht klappten, wurde die Glucose dann durch die Nabelschnur gespritzt.
Irgendwann fragte ich, warum sie das Kind nicht auf die Intensiv-station verlegen. Ja das machen sie gleich, erstmal muss der Arzt den Verlegungsbogen ausfüllen. Es war aber kein Arzt da.
Ich weiß ja, dass die Dokumentation durch aus wichtig ist, aber in so einer Situation?
Ich war irgendwie ferngesteuert und beobachtete diese Situation weiter.

Irgendwann nahm ich dann das Kind, was vom vitalen Zustand her, nicht wirklich auf dem Vormarsch war und brachte es auf die Intensiv-station zu Maria. Ich übergab es an die Schwestern, die nach kurzer Zeit erneut begannen das Kind zu reanimieren. Als ich das Kind aufnehmen wollte, wurde ich allerdings unterbrochen, weil ich noch warten sollte, falls das Kind jetzt noch verstirbt.
Ich sollte der Oberschwester einen kurzen Bericht zu dem Kind geben. Ich sagte ihr alles was ich wusste. Außer Daten der Mutter – wusste ich nicht. Dazu war keine Zeit – ich wurde einfach nur in den OP geschickt ohne jegliche Information.
Darüber war die Oberschwester, die selbe mit der Maria und Ich die interessante Begegnung hatten, gar nicht begeistert. Grundsätzlich verständlich, aber insgesamt ändert es auch nichts an dem vitalen Zustand des Kindes und der notwendigen Therapie.
Zum Glück war Maria ab da die ganze Zeit an meiner Seite. Ich fühlte mich nicht mehr sehr standhaft. Daraufhin folgten noch einige Diskussionen über Beatmungsmasken, Sauerstoffsättigung etc. Maria blieb standhaft für uns beide.
Ich stattdessen, wurde immer wütender – auf alles. Irgendwann beginnt man auch sich selbst Vorwürfe zu machen, da ich wusste, dass ich nicht ausreichend getan habe, sondern einfach gekuscht habe. Ich habe nicht für meine Kompetenz gekämpft.
Ich beobachtete dieses kleine Menschlein und hoffte einfach, dass es genug Hilfe bekommen hat und immer noch bekommt.

Mir war an diesem Tag alles zu viel und ich beendete den Arbeitstag vorzeitig.
Die folgenden Arbeitstage drückte ich mich weiter.
Am Sonntag, dem ersten Advent, hatten wir ein gemütliches Adventskaffee mit selbstgebackenen Plätzchen und Stollen von Marlenes Mama aus Deutschland. Eine willkommene Ablenkung.
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Um weiter in Weihnachtsstimmung zu kommen, bekam ich am 1. Dezember dann mein erstes Weihnachtspäckchen. 🙂
Darin: ein zauberhafter Adventskalender von Eva! Ich war Hin und Weg. Danke.
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Seit Donnerstag sind wir nun alle in unserem ersten richtigen Urlaub. Wir sind noch im Morgengrauen los zum Busbahnhof, wo der Bus nach Lushoto auf uns wartete. Hier in den Usambara Bergen gibt es die Irente Farm, die von einem deutschen Ehepaar geleitet wird. Sie stellen selber Käse, Brot, Marmelade…etc her. Ein wahres Schlaraffenland hier für uns. Eine Köstlichkeit jagt die nächste.
Aber nicht nur das Essen ist die Reise wert. Auch die Landschaft lockt. Bereits an unserem ersten Tag hier machten wir uns auf große Wanderschaft. In unserem jugendlichen Leichtsinn, natürlich ohne Guide.
Nach dem Frühstück ging die Reise los. Erstmal hoch den Berg. Ein wahres „Vergnügen“.
Oben angekommen, war es dann aber noch eine echte Augenweide. Wunderschön.
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Wir liefen dann eine Weile „Oben“ umher, bis es dann in Richtung Abstieg gehen sollte. Da aber plötzlich kein regelrechter Weg mehr da war, mussten wir uns den Weg selber suchen bzw trampeln. Inklusive verrückte Rutschmanöver den steilen Hang hinunter. Denn irgendwann gab es kein Zurück mehr und wir wussten nicht so recht wohin der „Weg“ durch den Urwald jetzt führt. Ein echtes Abenteuer, was vor allem den Jungs ein großes Grinsen ins Gesicht gezaubert hat.
Ich dachte zwischendurch schon an gebrochene Beine und Bergrettung.
Nichtsdestotrotz hatten wir alle eine riesen Freude daran uns gemeinsam durch diese Challenge zu schlagen. Gruppendynamik! 😉

Auch die restlichen Tage haben wir schöne Sachen unternommen und genießen die Zeit hier sehr. Umso ernüchternder ist es, dass es morgen schon wieder nach Hause geht.
Ich hatte eigentlich gehofft, dass es mir nach dem Urlaub wieder leichter fällt zur Arbeit zur gehen…aber, gut, warum sollte das anders sein als in Deutschland?! 😉

Zum Schluss noch ein paar zauberhafte Impressionen aus dem warmen Tansania, um auch etwas Sonne in die weihnachtliche Wintererzeit nach Hause zu schicken.
Trotz aller Mühe, liegt die Weihnachtsstimmung hier bei mir doch noch in weiter Ferne.

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Baden im Wasserfall

Baden im Wasserfall

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