Neue Runde – Block 10

Nachdem mich am Sonntag ein fieser Magen-Darm-Virus lahm gelegt hat und ich mich die darauffolgenden Tage noch nicht ganz fit fühlte, startete für mich, die ohnehin kurze Woche, erst am Mittwoch.

Und wie angekündigt ging meine Arbeit nun auf einer neuen Station weiter.
Der Block 10, direkt über dem Kreißsaal, ist eingeteilt in 2 Bereiche.
Auf der einen Seite, auf der Michaela derzeit arbeitet, werden Patientinnen mit unterschiedlichen gynäkologischen Probleme behandelt. Zum Beispiel Frauen, die starke postpartale Blutung hatten oder nach einer Sectio (Kaiserschnitt) eine Wundheilungsstörung haben. Aber auch viele Frauen mit einer extrauterinen Schwangerschaft liegen in diesem Bereich.

Auf der anderen Seite, auf der ich nun arbeite, sind die noch-schwangeren-Frauen mit diversen Schwangerschaftsproblemen, wie unter Anderen einem Schwangerschaftsinduzierten Hypertonus/Bluthochdruck (SIH), einer Anämie (Blutarmut) oder einem UTI (Harnwegsinfekt). Aber auf dieser Station werden auch häufig die Frauen aufgenommen die zu einer wiederholten Sectio wiederkommen, da sie Zustand nach Sectio sind.

Nachdem ich mich dann einigen Schwestern und Ärzten vorgestellt hatte, ging es direkt mit der Ward Round (Visite) los.
Die bot uns direkt einen spannenden Fall. DIe Frau war in der 32. SSW und erwartete ihr erstes Kind. Ursprünglich wurde sie vor wenigen Tagen wegen eines SIHs aufgenommen. War aber insgesamt gut mit Methyldopa eingestellt und hatte mittlerweile einen nahezu normalen Blutdruck, wie die Dokumentation der Vortage zeigte.
Bei der routinemäßigen Untersuchung (Bauch tasten, Vitalzeichen und fetale Herztöne ermitteln), fiel jedoch auf, dass die Frau seit einiger Zeit Wehen hat. Der Arzt schien dieses aber nicht so recht Ernst zu nehmen. Als er mich dann bat noch einmal zu versuchen die Herztöne zu hören, da er kein Glück hatte, musste ich kurz innehalten, da die Patientin eine kräftige Kontraktion hatte. Ich unterhielt mich ein bisschen mit dem Arzt, versuchte die Kontraktionen noch einmal ausrücklich zu erwähnen und stellte einige Fragen über die Vorgeschichte der Frau.
Laut seiner manuellen Abtastung des Bauches sagte er mir, dass das Kind in Schädellage liegt und somit versuchte ich natürlich unterhalb des Bauchnabels die Herztöne zu hören. War aber falsch…ich hätte doch selber noch mal tasten sollen.
Denn auch ich hörte nix.
Da der Rest der Kollegen hinter mir ungeduldig wurde, habe ich das Pinardrohr abgegeben und fragte nach dem Dopton. Doch plötzlich hörte der Arzt noch einmal und fand die Herztöne kurz über dem Bauchnabel. Na toll.
Dann erklärte er mir, dass das ein typischen Zeichen dafür ist, dass das Kind in einer Steißlage liegt. Ja, weiß ich und ärgerte mich warum ich es nicht einfach selbst versucht hatte.
Als der Arzt dann mit einer vaginalen Untersuchung weiter machte, sagte er plötzlich, dass wir die Frau auf eine Notsectio vorbereiten sollen. Mir sagte sofort „Cord prolaps“ raus. Und ich hatte Recht. Bei einen Muttermundsbefund von 3cm, hatte sich die Nabelschnur zwischen Beckeneingang und Kopf geschoben. Besonders bei Beckenendlagen besteht eine größere Gefahr für einen Nabelschnurvorfall im Falle eines Blasensprunges, da das Becken nicht so abgedichtet wird, wie durch das kindliche Köpfchen. In diesem Fall kam auch noch hinzu, dass es sich um eine frühe Woche handelte und das Kind so noch deutlich mehr Bewegungsfreiraum hat als um den Entbindungstermin gehabt hätte.
Jedoch habe ich nicht erwartet, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Notsectio in meinem Sinne handeln wird. Wie gewohnt wurde sich erstmal mit anderen Formalitäten beschäftigt.
Als dann der Blutdruck mittels eines elektrischen Geräts gemessen wurde, kam es zu dem Ergebnis 190/112mmHG. Ok – ein grundsätzlich hoher Blutdruck. Jedoch bin ich bei diesen unsäglich hohen Blutdrücken mittlerweile etwas seltener zu beeindrucken. Außerdem hat er mich nicht überrascht – eine Frau die ihr erstes Kind erwartet, seit einigen Stunden Wehen hat, geplagt von Schmerzen und Angst, einen bekannten Hypertonus in der Schwangerschaft hat UND am Morgen keine Medikamente zur Blutdrucksenkung bekommen hat, darf ruhig solch einen Blutdruck haben. SOLLTE sie nicht, aber es gab auch ersichtliche Gründe dafür.

Nichtsdestotrotz war das plötzlich ein großes Problem, auch wenn der Blutdruck nicht noch einmal kontrolliert wurde. Warum sollte sich mir gleich erklären…
Während die Frau die Einwilligung zur Sectio unterschrieb und alles im normalen Tempo vorbereitet wurde –  eine echte Notsectio eben – kümmerte der Arzt sich erstmal telefonisch um das weitere Vorgehen.
Zwischendurch habe ich darum gebeten, dass sich die Frau vielleicht wieder hinlegt um die Kompression der Nabelschnur so gering wie möglich zu halten. Zum Glück ging es dem Kind gut, wie mir das Dopton zwischendrin immer wieder verriet, wenn ich die Herztöne kontrollieren wollte. Diese kleinen Wesen können wirklich einiges aushalten, wie ich hier gelernt habe – drauf anlegen möchte ich es jedoch nicht!!!
Kurze Zeit später sagte mir dann der Arzt, dass die Frau verlegt wird.
Er begründete diese Entscheidung damit, dass es jetzt wichtiger ist, das Leben der Frau als das Leben des Kindes zu retten. Verstand ich voll und ganz und sah es ein. Außerdem werden keine hypertonen Patientinnen im Amana operiert.
Hätte man der Frau jedoch ihre Medikamente am Morgen gegeben, hätte man auf diesen Weg vielleicht verzichten können.
Am Ende wurde die Frau dann ins Muhimbili verlegt – ob das Kind dort noch am Leben war weiß ich nicht.

Kurz danach durfte ich den Arzt dabei begleiten, als er eine Saugcürettage durchführte. Es handelte sich um eine unvollständige Fehlgeburt im ersten Schwangerschaftsmonat. Eine Saugcürettage wird hier mittels einer Art Pumpe durchgeführt, bei der zunächst ein Vakuum wie bei einer Spritze aufgezogen wird, und dann mit einem länglichen Schlauchaufsatz durch die Zervix in den Uteruskorpus eingeführt wird. Allerdings wird dieses unter keiner örtlichen Narkose vollzogen. Die Patientin legt sich auf eine Liege mit Beinhaltern und mittels eines Spekulums wird die Portio eingestellt. Nun wird mehrere Male der Schlauch unter Vakuum durch die Zervix eingeführt und das blutige Sekret aus dem Uterus abgesaugt. Zum Glück musste dieser Vorgang bei dieser Frau nur wenige Male durchgeführt werden, denn man sah ihr an, dass es schmerzhaft war.

Der restliche Tag gestaltete sich weiter mit der Visite, die für mich manchmal etwas unübersichtlich wirkt, da die 2 zuständigen Ärzte „unstrukturiert“ durch die Gegend laufen. Generell tue ich mich etwas schwer dort, da es nicht die gewohnten pflegerischen Tätigkeiten wie in Deutschland gibt. Man versteht nicht immer alles, aufgrund der Sprache und weiß nicht so wirklich was die jeweilige Schwester oder Arzt gerade so tut.
Und, wenn ich einige Sachen frage oder besprechen möchte, habe ich schnell das Gefühl ich werde abgewürgt. Aber nicht aus Boshaftigkeit, sondern gefühlt eher aus der Angst korrigiert oder hinfragt zu werden. Ich bin gespannt wie sich das dort noch entwickelt. Aber auch hier gibt es wieder viele Ärzte, die ich kenne und sich immer freuen mich zu sehen.

Außerdem gibt es wieder viel zu sehen und zu lernen, wenn auch auf eigene Faust. Aber all das verwundert mich nach 7 Monaten nicht mehr. Man gewöhnt sich an alles, auch wenn sich manchmal noch vergleichende Gedanken einschleichen oder ein bisschen Wut über die Gemächlichkeit mancher Kollegen.

Heute war der Tag ähnlich. Anders war nur, dass ich mir eine Arbeit gesucht habe und weniger versucht habe unnötig rumzustehen. Also habe ich das Ausarbeiten der Visite übernommen. Keine sonderlich ehrenhafte Aufgabe. Besteht eher daraus auf die fertigen Akten zu warten und den Pflegeplan in ein dafür vorgesehenes Buch zu übertragen.
Neben dem Hüten meines Stiftes (der kommt auf dieser Station schneller weg, als man gucken kann), war das meine einzige Aufgabe des Tages 😉

Trotzdem ergab sich im Laufe der Visite noch ein spannender Fall – allerdings auf Michaelas Seite. Ich stahl mich also kurz davon und stellte mich zu deren Visite.
Wie ich bereits vom Vortag wusste, gab es eine schwangere Patientin mit HIV im Stadium 4. Eine sehr stark unterernährte und schwache 40jährige Patientin. Der Ausdruck „Haut und Knochen“ wäre hier kaum noch angemessen. Ein schreckliches Bild.
Die Frau war im 3. Monat schwanger. Wie diese Schwangerschaft jedoch zustande kam, bei ihrem Zustand, wage ich mir kaum vorzustellen.
In der heutigen Visite muss dann aufgefallen sein, dass ein Teil der Fruchtblase und Fetus bereits aus der Scheide hingen. Bei dem sehr schlechten Allgemeinzustand der Frau war nicht damit zurechnen, dass es sich um eine gesunde Schwangerschaft handelt.
Also entband der Arzt Fruchthöhle inklusive Fetus und Plazenta manuell. Alles hatte bereits einen stark sonderbaren Geruch und die Frau jammerte vor Schmerz. Man merkte, dass sie einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte.
Nachdem der Arzt mit seiner Arbeit fertig war, suchte ich noch einmal das Gespräch mit ihm. Er erzählte mir einige Dinge aus der Krankengeschichte der Frau und, dass sie jetzt nur noch zur Palliativpflege im Krankenhaus sei.
Eine furchtbare Geschichte und ich bin immer wieder froh, dass ich mich als solchen Situationen rausretten kann. Besonders in einem Raum voller kranker Patientinnen mit den unterschiedlichsten Beschwerden, die sich zu zweit oder zu dritt ein Bett teilen und/oder auf dünnen Matratzen auf dem Boden liegen müssen, ein eindrückliches Bild. Aber vielleicht wirkt auch alles gerade deshalb nicht so unnormal für mich. Alles findet so nah beieinander statt. In dem einen Bett entbindet eine Frau ihr Kind und im anderen liegt eine sterbenskranke Frau. Aber hier ist es einfach so!
Man kann damit umgehen. Man macht weiter, auch wenn es furchtbare Situationen sind. Ich mache mir doch deutlich weniger Gedanken darüber, als ich vielleicht erwartet hätte, denn sowas gehört hier schneller zum Alltag, als man anfangs glauben mag. Immerhin sind es jetzt schon 7 Monate!

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